Zuerst mus man sich fragen wie jemand zu einem Hund kommt. Jemand der gar keinen Hund haben möchte.
Herr Maier, mit ai wohlgemerkt, fand seinen vor der Haustür. Nicht in einem Körbchen süß sabbernd oder in einer Plastiktüte jämmerlich jaulend, sondern einfach so abwartend da sitzend ... na ja ... eher ausgebreitet.
Herr Maier ist zwar kein Hunderassenkenner, aber dass der, oder das, welcher/s auf seiner Schwelle ausgebreitet liegt ein Basset ist, weiß er, denn er ist schon einmal einem auf ein Ohr getreten.
Es war nicht seine Schuld, nicht wirklich, eher die seines Freundes Hugo der ihn praktisch dazu nötigte eine Hunderassenausstellung zu besuchen.
Herr Maier ist, genau genommen, kein Haustierfan. Tiere, findet er, gehören in die Natur, nicht in eine 3-Zimmer-Wohnung mit Duschkabine in der Küche. Katzen sind zwar angenem, ist seine Meinung, zumindest optisch, aber Hunde, sagt er, generieren eine zusätzliche Lärmbelästigung. Herr Maier mag Mozart und meidet Heavy Metal.
Sein Freund Hugo versicherte ihm, dass es auf Hundeausstellungen gar keine Musik gäbe und er dringend jemand brauche der/die ihn dort hin begleite, weil er unter einer Hundephobie leide und sein Psychologe meine, dass er nun bereit sei dem Problem konfrontierend gegenüber zu treten.
"Im Grunde genommen bin ich dazu ja auch bereit, Bilder von Hunden erschrecken mich nicht mehr, aber so ganz alleine ..."
Herr Maier hat ein Herz für Menschen, also seufzte er und sagte: "Okay. Aber Du bezahlst den Eintritt." Herr Maier ist Schwabe.
Wie es dazu kam, dass er auf das Ohr eines Basset trat, ist eine etwas komplizierte Geschichte. Hugo erwies sich als sehr resistent gegen Konfrontation mit der Wirklichkeit, sprich lebeniger Anwesenheit von Hunden, und selbst deren Abbildungen, auf die er doch angeblich konditioniert sein sollte, erwieß sich als ein Scheinerfolg der psychiatrischen Behandlung. So kam es, dass Herr Maier's Freund Hugo schließlich in Panik durch die schmalen Gänge, gesäumt von hunderten von Käfigen in denen Hunde kläfften, sehr in Eile dem Ausgang zustrebte mit Herr Maier protestierend im Schlepptau.
Und da lag dann etwas langes, braunes auf dem Boden, auf das Herr Maier, vorübereilen wollend, trat. Es jaulte auf und erhob sich. Gleiches tat sein Besitzer, der zwar nicht jaulte sondern schrie: "Sind Sie wahnsinnig! Das ist ein preisgekrönter Basset den sie da niedergetreten haben!"
Herr Maier findet zwar, dass von "niedergetreten" nicht die Rede sein kann, da das braune Ding, das sich als ein Bassetohr erwiesen hatte, schon auf dem Boden lag, sieht sich dennoch genötigt die Begleitung der Flucht seines Freundes aus dem Kabinett des phobisch bedingten Grauens zu unterbrechen und sich dem Hundebesitzer zu zugesellen um diesen zu beruhigen.
Im Verlauf des anfangs sehr lauten Gesprächs erfährt er dann alles über Bassets das zu wissen er bis dahin für unnötig gehalten hatte. Der Hund blickt ihn die ganze Zeit mit einer Inbrunst an, die Herr Maier bei Menschen vermisst. So formt sich eine unauslöschliche Erinnerung bei ihm.
Und nun, an diesem Morgen, liegt ihm zu Füßen ein Basset, der ihn inbrünstigt anhimmelt. Das ist ganz natürlich, Bassets sind dafür bekannt.
Was tun?
Herr Maier überlegt. Er ist 79 Jahre alt, Rentner mit bescheidenem Auskommen aber nicht arm. Einen Hund, sofern er einen wollte, kann er sich nur virtuell leisten, denkt er. Hundesteuer, Tierarzt, Futter ... eine Leine ... Eine Leine! Der Hund hat keine! Und kein Halsband! Keine Marke!! Ein "Abandonato!" Ein Ausgesetzter!!! ...
Was jetzt?
Alte Menschen neigen nicht zu spontanen Handlungen wie Türe zuschlagen und wieder ins Bett gehen. Na ja, einige vielleicht schon, aber Herr Maier ist nicht Einige.
"Wo kommst Du denn her?" fragt er den Hund.
Der liftet die Ohren etwas und wedelt mit dem Hinterteil. Liegend.
"Bassets sind keine Jogger." hat ihm der Besitzer des von ihm `niedergetretenen´ Bassets damals so als nebenbei Information anvertraut.
Dieser Basset, zu seinen Füßen, ist eher ein ... Ja was? Ein in sich Ruhender? Der Gedanke gefällt Herr Maier.
Er blickt die Straße rechts hinauf. Er blickt sie links hinunter. Er kontrolliert die Fenster gegenüber.
Kein Mensch in Sicht. Typisch! Wenn er Besuch bekommt wimmlet es nur so von Augen ringsum. Herr Maier ist schwul.
Das ist eine andere Geschichte ...
Ihm stellt sich die Frage: Was mache ich mit einem herrenlosen Hund auf meiner Türschwelle?
Tierheim drängt sich Anderen als erste Antwort auf.
Aber Herr Maier reagiert anders als Andere.
Tierheim verbindet er mit Zwingern, Zwang, Gefängnis. Also denkt er: `Fundbüro´!
Wer das seltsam findet, kennt die Menschen nicht und ihre Fähigkeit das Undenkbare zu denken und zu tun.
Er nimmt den Hund, der nur zufrieden grunzt, rülpst und furzt, auf den Arm und trägt ihn in seine Wohnung, Parterre, 3 Zimmer, Duschkabine in der Küche ...
Googeln ist angesagt. Herr Maier ist alt aber nicht von vorgestern.
"Wer suchet, der findet." denkt Herr Maier (er ist bibelfest), verstaut den Basset in einen geräumigen Rucksack und begibt sich auf den Weg zum städtischen Fundbüro.
In der Straßenbahn (U-Bahn) sitzen ihm zwei Asiaten gegenüber (Japaner, Chinesen?). Man lächelt sich an. Blickt zu Boden, zur Decke. Der Basset rumpelt im Rucksack. Erstaunte Blicke von Gegenüber. Herr Maier öffnet den Rucksack ein bisschen und der Basset zeigt seine Nase. "Lunch" (Mittagessen) sagt Herr Maier, der Humor hat und der weiß, dass man im fernen Osten Hunde isst. Die Plätze gegenüber werden frei.
Im Fundbüro ist das dann so eine Sache. Bürokratisch. Kompromisslos. Deutsch.
Erst kommt einmal ein Formular auf den Tresen, vielmehr die Tastatur des PC.
"Name?"
"Wessen?"
" SPRECHEN SIE DEUTSCH!?" fragt der Angestellte laut und deutlich.
"JA!!!", antwortet Herr Maier ebenso. "Warum fragen Sie?"
Der Beamte (Herr Maier fragt sich ob das die richtigere Bezeichnung für den Angestellten ist) verdreht die Augen theatralisch zur Decke. Die Verständigung verspricht schwierig zu werden.
"Name?"
"Maier. Mit ai."
"Vorname?"
...
Die üblichen Angaben. Zeit vergeht.
...
"Fundsache?"
"Ein Hund."
"Wie bitte?"
"Ein Hund. Ein Basset."
"Wollen Sie mich verarschen?!"
Herr Maier setzt den Hund auf den Tresen und braucht lange um den Beamten dahingehend einzuweihen und zu überzeugen, dass dieser den Hund als Fundsache akzeptiert und einsieht, dass das Tierheim, die Prioritäten berücksichtigend, erst zweitrangig zuständig ist.
"Also gut: Name?"
"Aber den haben Sie doch schon."
"Name der Fundsache."
"Hund."
"Nicht Name der Fundsache, sondern Name des Gegenstandes, welcher ein Hund ist."
Herr Maier blickt den Beamten zweifelnd an. Ist das sein Ernst?
"Es ist ein Lebewesen, also brauche ich einen Namen." klärt ihn der Mann auf und holt dann etwas weiter aus um Herr Maier über die Begriffe *Lebewesen* und *Gegenstand* aufzuklären. "Im alten Rom", so hebt er an, "galten nur römische Bürger als Lebewesen, alles andere waren Dinge, Gegenstände, Ware. Sklaven, Tiere, Immobilien: alle gleich ..."
Der Vortrag dauert. Der Beamte, Herr Maier ist sich jetzt sicher, dass das kein gewöhnlicher Angestellter sein kann, schreibt nämlich zur Zeit einen Roman über Julius Ceasar und hat sich über das Alte Rom umfassend informiert. "Ich schreibe meistens während meiner Freizeit bei der Arbeit. Sie sehen ja selber dass hier nix los ist."
Herr Maier hat viel Geduld und viel Humor und als der Beamte endlich wieder fragt: "Name des Hundes?" und er die über der Tastatur wartend schwebenden Finger des Beamten sieht, sagt er spontan: "Herr Müller, mit ue, Mueller."
Es wird eingetippt. Ohne Nachfrage woher er denn den Namen der Fundsache kenne. Diese wird ihm, auf eigenen Wunsch, zur Betreung übergeben, bis sich der/ die Besitzer/in meldet.
"Wir geben Ihnen dann Bescheid."
So bekam "Herr Mueller" seinen Namen und Herr Maier seinen Hund.