Wenn es allein um die Farbe geht, würde man sich wohl eher für grün entscheiden, weil grau ja mehr oder weniger als eine Nichtfarbe empfunden wird. "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie", zum Beispiel. (Ist das Goethe? Faust? Muss mal kurz googeln ... Dacht ich's mir doch! Und der Rest des Zitats passt prima zum Thema: "... und grün des Lebens goldner Baum."
Nur dass mein Grün kein Baum ist, sondern ein "Star". Grüner Star also.
Da geht man ahnungslos zum Augenarzt, weil man merkt, dass irgend etwas mit dem Sehen anders ist als die siebzigplus Jahre vorher: links über die Schulter blicken, zum Beispiel, bringt nur noch verschwommene Bilder, oder die kleine Schrift im Fernsehen ist einmal gestochen scharf und dann wieder total unscharf, oder der leichte Nebel im Ringsum, wenn da gar keiner ist ... auf jeden Fall hatte ich beschlossen, dass ich zum Augenarzt müsse.
Als mich die Frau an der Rezeption (ich weiß immer noch nicht, ob man noch "Sprechstundenhilfe" sagt?) fragte, wann ich denn das letzte Mal da gewesen sei, antwortete ich: "Ooooo? ... das ist schon länger her ... ungefähr zehn Jahre?"
"Dann schaun wir mal im Ablage." sagte sie (sie hat Immigrationshintergrund in Richtung slawisch).
Im Computer war nichts zu finden, also zog sie Schubladen am Aktenschrank auf und, tatsächlich, wurde fündig. "Neunzehnhundertzweiundneunzig." verkündete sie.
Wenn man die Zahl so ausgeschrieben liest, sieht man deutlich wie lange das schon her ist!
Zweiundzwanzig Jahre! Mir kamen sie wie zehn vor!! So kann man sich irren und mit diesem Irrtum versuchen sein Leben zu verlängern.
Es folgte die übliche Voruntersuchung an Geräten, um die Sehfähigkeit als solche festzustellen.
"Welche Zeile kennen Sie noch lesen?"
"Die oberste ... Bei der Zweiten hab ich schon Schwierigkeiten." Ich hätte sie fragen können, so als Scherz, ob ich raten solle, aber das Wartezimmer war ziemlich voll. Als ich dann dort wartete, während sie pupillenerweiternde Tropfen austeilte, überlegte ich: `Was würde ich sagen, wenn ich überhaupt nicht lesen könnte?´ Gute Frage.
Sie brachte ein Formular mit einer Aufklärung über eine Vorsorgeuntersuchung für Grauen Star, für die man sich entscheiden sollte, obwohl sie von der Krankenkasse nicht bezahlt würde. Die Kosten für eventuell danach anfallende Behandlungen, sollte man grauen Star haben, übernimmt die Kasse, "selbstverständlich". Irgendwo fehlt da eine gesundheitstechnische Logik: ohne Untersuchung keine Diagnose, ohne Befund keine Behandlung. Zumindest nach der Feststellung eines negativen Befunds und daraus resultierender Versorgung, müsste doch die Untersuchung, die dazu führte, auch bezahlt werden, denke ich.
Zwei Mal bekam ich die gelben Tropfen, dann rief mich der Arzt ins Sprechzimmer. Er sah noch genau so aus wie vor zweiundzwanzig Jahren! Ich war verblüfft, sagte aber nichts. Vielleicht hätte er es ja falsch verstanden, es als Kompliment aufgefasst, wobei es doch lediglich eine Tatsache ist. Es ist nur selten, dass man nach so langer Zeit jemand gegenübersteht, dessen Äußeres sich, mit der Erinnerung verglichen, nicht verändert hat. Er ist nicht groß (Darf man "klein" sagen ohne des Diskriminierens verdächtigt zu werden?) schlank, hat einen dunklen Vollbart, jetzt mit etwas grau durchsprenkelt, und trägt eine Brille. Er könnte sein Klon sein ...
Nach der Vorsorgeuntersuchung zum grauen Star, ("Geringfügig, aber das bekommt man leicht in den Griff.") folgte die Messung des Augendrucks. Vorher nochmal Tropfen zur Pupillenerweiterung. Sehen konnte ich inzwischen so gut wie nichts mehr. Es war, als würde ich mit offenen Augen in trübem Wasser tauchen. Schmerzhaft war es auch. Und mein Augendruck war hoch. 30. "Ideal wäre 18, normal ist ungefähr 22." (Laut Wikipedia liegt der Augeninnendruck bei "10 bis 21 mm Hg." was immer das heißen mag. 30 ist also wirklich hoch! "Es könnte allerdings auch durch die Tropfen verursacht sein." meinte der Arzt. "Haben Sie Zeit?" Zeit hatte ich. "Gehen Sie etwas essen, oder einen Kaffee trinken und kommen Sie in einer Stunde wieder. Dann messen wir noch einmal."
Die Sprechstundenhilfe sagte, dass ich selbstverständlich auch im Wartezimmer sitzen könne, wenn ich wolle. Ich entschied mich für einen Spaziergang.
Das war ein Fehler! Ich hätte nie gedacht, dass Licht so grell und schmerzhaft sein kann!! Zu allem Pech war es auch noch ein brillanter Sonnentag!!! Meine Augen tränten. Nichts hatte feste Konturen oder eine bestimmbare Distanz. Hätte ich nicht großen Hunger gehabt, wäre ich zurück in die Praxis gegangen. So bewegte, ich ging nicht, ich mich im Schatten vorwärts. Ziellos zuerst, in der Hoffnung, dass sich meine Augen schnell wieder "normal" verhalten würden. Fehlanzeige. Plötzlich konnte ich Menschen verstehen, die sogar noch im Keller eine Sonnenbrille tragen. Das Licht war Marter pur!!!
Nach einem Krabbenbrötchen von der "Nordsee" tastete ich mich zurück in die Praxis.
Der Augendruck war zwar gesunken, aber immer noch mit 25 zu hoch. Es könne zwar sein, dass er noch sinken würde, bei manchen Menschen dauere das etwas länger ...
Ich bekam noch eine Tablette, keine Ahnung wofür oder wogegen, mit dem Hinweis, dass irgendwann meine Hände kribbeln könnten, das wäre dann eine Nebenwirkung. Sollte das eintreffen, wäre es das Beste, wenn ich eine Banane essen würde. In der Kunst nennt man solche Situationen Surrealismus! Stunden später, am Abend, fing meine rechte Hand an zu vibrieren, als würde sie von einem kleinen Motor angetrieben. Es war nicht angenehm, aber auch nicht unangenehm. Hätte mich das Gefühl unvorbereitet getroffen, wäre ich darüber erschrocken. Bananen hatte ich schon vorher gegessen ...
Eine Woche später, gestern, war dann die Nachuntersuchung. Der Augendruck war immer noch hohe 25 mm Hg. Ein Glaukom also, oder grüner Star. Ich habs gegoogelt. Interessant wie die Bezeichnung entstand ...
Der Arzt gab mir Tropfen, eine kostenlose Probepackung und meinte. Ich solle jeden Abend vor dem Einschlafen in jedes Auge einen Tropfen träufeln und in zwei/drei Wochen wieder kommen. Wenn sich gar nichts ändert muss man eben eine kleine Laseroperation machen bei der ... Aber das wäre Zukunftsmusik, meinte er abschließend.
Selbstverständlich habe ich die Tropfen (TRAVATAN) auch gleich gegoogelt, weil kein Beipackzettel in der Packung war. Ich stieß dabei auf ein Forum, in dem sich Anwenderinnnen über die Nebenwirkungen austauschten. Es waren die reinsten Horrorstories! Brennen, Kratzen, Tränen, Schwellungen, höllische Kopfschmerzen. Sollte ich mir das antun? Skepsis übermannte mich.
Ich habe geträufelt und ... nichts! Kein Brennen, Kratzen, Tränen, Schwellen, Schmerzen, nicht einmal ein Jucken. Auch heute nicht, am Morgen danach. Vielleicht sind die Nebenwirkungen ja frauenspezifisch? Wie dem auch sei, ich hege Hoffnung, dass sie wirksam sind und mir eine Operation erspart bleibt.
Abendlied
Augen, meine lieben Fensterlein,
Gebt mir schon so lange holden Schein,
Lasset freundlich Bild um Bild herein:
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!
Fallen einst die müden Lider zu,
Löscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh;
Tastend streift sie ab die Wanderschuh,
Legt sich auch in ihre finstre Truh.
Noch zwei Fünklein sieht sie glimmend stehn
Wie zwei Sternlein, innerlich zu sehn,
Bis sie schwanken und dann auch vergehn,
Wie von eines Falters Flügelwehn.
Doch noch wandl ich auf dem Abendfeld,
Nur dem sinkenden Gestirn gesellt;
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält
Von dem goldnen Überfluss der Welt!
Gottfried Keller
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