Weiterhin der 25. Februar 2013
Um keine Verwirrung aufkommen zu lassen, nenne ich dies das 2. Kapitel, wobei es eigentlich die Fortsetzung des von mir als das erste Kapitel bezeichneten ist. Genau genommen sind es ja keine Kapitel, sondern eine fortlaufende Geschichte mit Pausen, so ähnlich wie "1000 und eine Nacht", nur der Wahrheit wesentlich näher als dem Märchen.
Ich "fahre also in der verstatteten Rede fort".
Die Langeweile vor dem Boarding wird erträglicher, wenn man die Mitreisenden beobachtet und diese keine Langweiler sind. Die meisten sind es. Das Männerpaar, das für eine Woche nach Antalya fliegt, er mittelalt, sie jung, wobei ich mich in der Rollenverteilung durchaus irren kann, unterhält sich ausschließlich über die Wetterverhältnisse vor Ort. Das iPhone App gibt Prognosen her, die nicht nur erfreulich sind. Irgendwann ist das Thema doch erschöpft, es handelt sich ja lediglich um eine Woche, und die Beiden haben keinen Gesprächsstoff mehr. Ich prognostiziere der Beziehung wenig Chancen für die Zukunft.
Sitzen werde ich im Flugzeug noch lange genug, also wandere ich hinüber zu der Snack Bar. Ein luftgefülltes Butterhörnchen, pardon: Croissant, für 4 €, Kaffee im hygienischen Pappbecher 3 €. Auf Kaffee kann ich verzichten, aber mein Magen knurrt, also setze ich mich an ein Tischchen abseits und warte. Eigentlich warte ich auf die junge Frau, die hinter dem Tresen Kleingeld in die Kasse sortiert, aber es kommt ein Ehepaar mit Kind mit exaktem Pagenschnitt, (ein hübsches Mädchen, denke ich) ungefähr vier Jahre alt, und setzt sich an das Tischchen ganz im Abseits hinter mir.
Dann wird es spannend.
"Jonathan, was hast Du da eben getan?" fragt das männliche Elternteil.
`Jonathan?´, denke ich, `Was für ein seltsamer Name für ein Mädchen.´
"Bitte entschuldige, Vater." sagt Jonathan, der ja jetzt wohl als Junge geoutet wurde.
Er sagt wirklich "Vater". Nicht etwa verschludert "Vadder", oder "Vati", nein, er sagt "Vater", so wie man das in "Vater unser im Himmel ..." sagt, oder "Turnvater Jahn".
Umdrehen mag ich mich nicht, aber ich würde schon gern nochmal einen Blick auf diese Familie werfen. Zum Glück befindet sich hinter dem Tresen ein großer Spiegel an der Wand, vielmehr ist die Wand ein großer Spiegel, so dass ich mich gar nicht umdrehen muss.
Der Junge Jonathan hat schulbewusst den Kopf gesenkt. Aber ich glaube, in dieser Familie sagt man zu Kopf "das Haupt".
Umdrehen mag ich mich nicht, aber ich würde schon gern nochmal einen Blick auf diese Familie werfen. Zum Glück befindet sich hinter dem Tresen ein großer Spiegel an der Wand, vielmehr ist die Wand ein großer Spiegel, so dass ich mich gar nicht umdrehen muss.
Der Junge Jonathan hat schulbewusst den Kopf gesenkt. Aber ich glaube, in dieser Familie sagt man zu Kopf "das Haupt".
"Ich frage Dich noch einmal was Du eben getan hast?" fragt Vater noch einmal.
"Ich habe mich vor Mutter hingesetzt." sagt Jonathan kleinlaut. Er steht wieder.
Er sagt wirklich "Mutter", nicht etwa Mudder, oder Mutti, sondern "Mutter", wie in "Mutter Theresa", oder gar "Mutter Gottes" wie die Katholiken im "Gegrüßest seist du Maria ..."
`Du gütige Unterwäsche der Mormonen´, denke ich, `aus welcher H. G. Wells Zeitmaschine oder Stephen King Horror Story hat es die denn in die eben stattfindende Wirklichkeit gebeamt? Die sind ja unrealistischer als ein schlecht synchronisierter französischer Film noir!´
"Du musst auf diese Dinge achten." ermahnt ihn Mutter gütig, die sich gesetzt hat.
"Ja Mutter, entschuldige bitte." sagt die Möwe Jonathan ... Nein!, sagt der Junge Jonathan.
Ich fange an zu halluzinieren, denke ich.
Ich fange an zu halluzinieren, denke ich.
Vater hat auch Platz genommen. Ich glaube nicht, dass sich in dieser Familie jemand einfach hinsetzt, obwohl Jonathan, wenn ich mich recht erinnere, dieses Wort benutzte. Wahrscheinlich pflegt er schlechten Umgang mit weniger gut erzogenen Kindern in der Vorschule, denke ich. Jetzt nimmt Vater die Speisekarte zur Hand und sagt, während er einen prüfenden Blick darauf wirft: "Wir werden eine Kleinigkeit zu uns nehmen. Das im Flugzeug gereichte belegte Brot ist ja ungenießbar."
Wo er Recht hat, hat er Recht! denke ich. Nur Heißhunger nötigt einen zum Verzehr dieser labbrigen, feuchten, trotzdem furztrocken scheinenden Pseudo-Sandwiches. Habe ich da wirklich "nötigt" und "zum Verzehr" gedacht? Ist Vaters Ausdrucksweise etwa ansteckend? Mich schaudert!
"Ich trinke ein kleines Glas Bier." Endlich sagt Mutter, als Erste, etwas Positives, wenn auch ziemlich Prosaisches.
"Aber Vater hat noch gar nicht gesagt was er trinken wird." weist der Knabe Jonathan sie zurecht.
"Das ist zwar richtig Jonathan," sagt Vater, "aber es steht Dir nicht zu, Mutter zurecht zu weisen. Merke Dir das."
"Ja, Vater, bitte entschuldige."
"Entschuldige Dich nicht bei mir, sondern bei Mutter."
"Bitte entschuldige, Mutter."
"Du bist entschuldigt." sagt Mutter gütig.
Du lieber Himmel, denke ich, in zehn Jahren wird man in den Nachrichten hören und in den Zeitungen lesen, falls es noch solche gibt, dass ein Vierzehnjähriger während dem Mittagessen seine Eltern mit einem Beil erschlug.
Aber wer hat in zehn Jahren schon noch ein Beil, denke ich.
Vielleicht gibt es in zehn Jahren auch nichts mehr zu Essen? Man denke nur an das Bienensterben! Wenn das so weitergeht, wird außer Unkraut nichts mehr wachsen. (Manches Unkraut ist zwar essbar, aber wer isst schon etwas, das mit Un anfängt?) Ich habe einen Science Fiction Film gesehen, in dem es nichts außer Keksen zu essen gibt. Diese Kekse, das erfährt man so ziemlich am Schluss des Films, nach viel sentimentalem Gesülze über Liebe und Zuneigung und ich hab Dich zum Fressen gern, werden aus den sterblichen Resten der Verstorbenen, ach soooo geliebten und zugeneigten Menschen hergestellt. Makaber? Bitte, ich habe den Film nicht gemacht!
Aber wer hat in zehn Jahren schon noch ein Beil, denke ich.
Vielleicht gibt es in zehn Jahren auch nichts mehr zu Essen? Man denke nur an das Bienensterben! Wenn das so weitergeht, wird außer Unkraut nichts mehr wachsen. (Manches Unkraut ist zwar essbar, aber wer isst schon etwas, das mit Un anfängt?) Ich habe einen Science Fiction Film gesehen, in dem es nichts außer Keksen zu essen gibt. Diese Kekse, das erfährt man so ziemlich am Schluss des Films, nach viel sentimentalem Gesülze über Liebe und Zuneigung und ich hab Dich zum Fressen gern, werden aus den sterblichen Resten der Verstorbenen, ach soooo geliebten und zugeneigten Menschen hergestellt. Makaber? Bitte, ich habe den Film nicht gemacht!
Während ich gedanklich abgeschweift war, hat man am Tisch hinter mir bestellt und das Essen wird schon serviert. Kleine Salate, kleine Schnitzelchen, kleines Bier. Vater trinkt ein Weizenbier, Jonathan Mineralwasser. Sein Wunsch nach einer Cola, das habe ich mit halbem Ohr mitbekommen, wurde von Vater lachend abgeschmettert. Lachend, weil die Bringperson (Bedienung sagt man nicht mehr!) dabeistand, sonst wäre es eine Rüge gewesen.
Mich hat sie übrigens völlig ignoriert. Na schön, dann werde ich eben das labbrige, feuchte und trotzdem furztrocken scheinende Pseudo-Sandwich im Flieger essen. Selber Schuld!
Das Essen wird am Familientisch schweigend eingenommen. Vater unser, denke ich, seit wann bediene ich mich solch archaischer Sprache? Eine Mahlzeit einnehmen! Das tut kein Mensch mehr. Und überhaupt, Essen ist doch keine Medizin. Medizin nimmt man ein, aber nicht Nahrungsmittel. Sei´s drum, ich habe eh nix zum Einnehmen, nahrungstechnisch betrachtet.
Nach dem Essen wird es noch einmal interessant. Vater erhebt sich von der Tafel, jaja, ich weiß!, und verschwindet um die Ecke.
"Wohin ist Vater gegangen?" fragt Jonathan die gütige Mutter.
Ich schätze sie auf 25, höchstens 28 Jahre, also eine Mutter die durchaus in der Realen Welt geboren wurde. Vater ist ungefähr 10 Jahre älter, allerdings würde ich sagen es sind gefühlte 100!
"Er ging wohl zur Toilette." mutmaßt Mutter.
"Ich muss auch zur Toilette." Jonathan rutscht von seinem Stuhl, ohne zu fragen, ob er "die Tafel verlassen darf".
"Dann folge Vater und klopfe an die Tür damit er Dich einlässt."
Das ist ein Original-Dialog, ich erfinde nichts dazu!
Jonathan eilt zur Toilettentür und klopft. "Vater!" ruft er. Es bleibt still auf dem stillen Örtchen. Jonathan eilt zurück zu Mutter. "Mutter, Vater antwortet nicht!" sagt er.
Es klingt wie: "Die Titanic ist gesunken!"
Es klingt wie: "Die Titanic ist gesunken!"
"Du musst vielleicht lauter klopfen." rät Mutter ihrem Sohn.
Der wird doch jetzt nicht hier an die Scheißhaustür hämmern und "Vater! Vater!" brüllen, denke ich.
Vielleicht hätte er es getan, aber da kommt Vater schon wieder um die Ecke.
"Was ist hier los?" fragt er.
"Ich glaube, Jonathan muss austreten." antwortet Mutter.
"Ach nein," sagt Jonathan und wirkt verlegen, "eigentlich muss ich gar nicht."
In dem Moment werden wir gebeten die Maschine nach Antalya zu boarden.
Was, frage ich mich, wollte der Junge bei seinem Vater auf der Toilette, wenn er gar nicht musste?
Wir werden es nie wissen, denn ich bin nicht Scheherazade und dies ist kein Märchen aus 1000 und eine Nacht. Dies ist das wahre Leben. Man darf gespannt sein, immer wieder, an jedem neuen Tag, wie es weiter geht.
PS. Nachdem die Bringperson bei der Musterfamilie abkassiert hat, steht sie vor mir und fragt, ob ich einen Wunsch hätte.
"Eigentlich habe ich zwei Wünsche." sage ich todernst, "Erstens wünsche ich mir Weltfrieden und Zweitens uns allen Gesundheit. Das ist das Wichtigste: Gesundheit."
Die Bringperson sieht mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.
Sie wird doch, o unbefleckte Unterwäsche der Mormonen, nicht die Security auf mich aufmerksam machen und mich als Terrorverdächtigen denunzieren!
Das wäre Stoff für ein weiteres Kapitel.
Ich aber "halte in der verstatteten Rede inne".
Wir werden es nie wissen, denn ich bin nicht Scheherazade und dies ist kein Märchen aus 1000 und eine Nacht. Dies ist das wahre Leben. Man darf gespannt sein, immer wieder, an jedem neuen Tag, wie es weiter geht.
PS. Nachdem die Bringperson bei der Musterfamilie abkassiert hat, steht sie vor mir und fragt, ob ich einen Wunsch hätte.
"Eigentlich habe ich zwei Wünsche." sage ich todernst, "Erstens wünsche ich mir Weltfrieden und Zweitens uns allen Gesundheit. Das ist das Wichtigste: Gesundheit."
Die Bringperson sieht mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.
Sie wird doch, o unbefleckte Unterwäsche der Mormonen, nicht die Security auf mich aufmerksam machen und mich als Terrorverdächtigen denunzieren!
Das wäre Stoff für ein weiteres Kapitel.
Ich aber "halte in der verstatteten Rede inne".
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