Dienstag, 7. Oktober 2014

Wie erlebe ICH Zeit


Das ist nicht als individuelle Frage gedacht sondern als eine Überschrift, die ich als Ouverture verstanden wissen möchte, als eine Eröffnung, die schon in sich jedem Leser seine eigenen Antworten anbietet. Und schon in diesem kaum messbaren Augenblick, in dem sich die Antworten dem Bewusstsein aufdrängen, ohne formuliert zu werden, erlebt man Zeit. So einfach ist das. Und so schnell vergeht sie. 
Im Zeitalter der absoluten Messbarkeit des Vergänglichen, wo Millisekunden eine Zahl mit sieben Nullen im Vorfeld sind, ist es nicht mehr selbstverständlich über Zeit nach-zu-denken, deren Schwinden so offensichtlich dargestellt werden kann. Zeit sichtbar machen ist vergleichbar mit dem sichtbar machen eines Geruchs. Das aber ist vorläufig noch nicht möglich. Dass beide in ihrer Flüchtigkeit vergleichbar sind steht aber außer Frage.
Wie erlebe ich Zeit? Diese konkrete Frage stellte ich mir heute nachdem ich die neue Waschmaschine mit vier Kilo Wäsche beladen und sie eingeschaltet hatte. (Woher weiß ich, dass es vier Kilo sind? Ich entnahm die Wäsche dem Wäschekorb und stellte mich damit, nackt, auf die Waage, auf der ich ohne Wäsche 75,1 Kilo, mit Wäsche 79,1 Kilo wog. Warum wollte ich das wissen? Weil ich ihr Gewicht auf ca. 6 Kilo schätzte, was die Waschmaschine überlastet hätte. Gewicht schätzen ist nicht meine Stärke.) Weil die Wäsche, obwohl locker eingelegt, die Trommel ziemlich kompakt ausfüllte, zumindest für mein Dafürhalten (gibt es das Wort noch?), fragte ich mich, ob das Wasser ausreichen würde um sie überhaupt zu durchfeuchten, geschweige denn zu waschen. Also beobachtete ich den Wasserzulauf des Vorwaschgangs, der etappenweise stattfand. Beim Einschalten der Maschine sah ich, dass die Gesamtwaschzeit 1, 47 Stunden dauern würde. Als mein Blick wieder auf die Digitale Zeitanzeige fiel, sah ich, dass vier Minuten vergangen waren. Vier Minuten! Wohin? Was hatte ich in dieser Zeitspanne getan? Ich hatte nur, ohne irgend einen meiner fünf Sinne bewusst zu betätigen, darauf gewartet, dass Wasser in die Wäschetrommel zulief. Ich war bestürzt! In diesen vier Minuten waren Menschen in Syrien und in der Ukraine sinnlosen Kriegen zum Opfer gefallen, andere an Ebola und Marburg-Fieber gestorben. In Japan wüten verheerende Stürme, Hochwasser und Erdrutsche reißen Menschen in den Tod. Die Reiter der Apokalypse reiten über den Erdball! Und ich? Ich stellte mir die Frage, wie ich Zeit erlebe.
Der Zeit sind viele Eigenschaften zugeordnet von zeitlos bis zeitraubend. Verlorene Zeit, vertane Zeit, höchste Zeit (hat das etwas mit Hochzeit zu tun?), ach-du-liebe-Zeit, gute-alte-Zeit, Neuzeit usw. Und als wäre sie nicht aufgeteilt genug, gibt es auch noch die vier Jahreszeiten. Die habe ich in einer Collage so dargestellt:


Zeit darzustellen ist eine Aufgabe der Uhren. Uhren herzustellen, die dies auf eine schöne Art präsentieren, war ein Bestreben der Vergangenheit. Dem flüchtigen Moment ein beständiges Gehäuse geben. Die Zeit behutsam behandeln. Die Zeit sehen. Zeit erleben. ...



Sorry, die Waschzeit ist abgelaufen. Eine Stunde und siebenundvierzig Minuten. Es ist zwölf Uhr mittags. Mahlzeit!

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