Es heißt, dass Totgesagte länger leben und dass der Suchende findet. Beides kann man glauben oder bezweifeln. Aber eines ist sicher: Mein verschollener, von mir vernichtet geglaubter Roman ist tatsächlich wieder aufgetaucht! Abschied von Aschenbach lebt! Ein Wunder! … Na ja, er lag im Bettkasten, weiß Gott wie lange schon, und dort hatte ich ihn nicht vermutet und deshalb auch nicht gesucht. Gestern Abend hatte ich ein Glas Apfelschorle auf den Nachttisch gestellt, für den Fall, dass ich nachts Durst bekommen sollte, weil der Schinken, den ich zum Abendbrot gegessen habe etwas versalzen war. Zumindest für meinen Geschmack. Ich mag moderat Gesalzenes. Auf jeden Fall stand das Glas heute früh noch unberührt auf dem Nebenbettmöbel und als ich mich anzog, wischte ich es mit einem Armschlenker direkt ins Bett. Man kann noch so schnell sein, ein Glas lässt seinen Inhalt sofort und total los, wenn man es irgendwohin wirft, absichtlich oder nicht. Natürlich habe ich "Scheiße!" gebrüllt und auf dem Weg in die Küche, um Küchenrolle zum Aufsaugen zu holen, kräftig geflucht, allerdings ohne den Namen Gottes zu erwähnen. Ich saugte also so viel Flüssigkeit auf wie oberflächlich noch möglich war und klappte dann die Matratze hoch, es ist so ein Bett wo das geht, um zu sehen, ob Nässe in den Bettkasten gedrungen war. Der Bettkasten dient eigentlich dazu, die Bettmöblierung, also Kissen und Decken und Schlafanzug, tagsüber verschwinden zu lassen, wenn man in einer 1-Zimmer Wohnung wohnt. Ich wohne aber nicht in einer solchen und nutze den Bettkasten als Stauraum für meine Plakate … pardon, Poster Sammlung. Das sieht dann so aus:
Ja, und da liegt er und tut so als hätte ich nicht die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt um ihn zu finden. Es ist der Papierpacken mit dem braunen Deckel.
395 Seiten. Auf einer Uraltschreibmaschine mühsam im Zweifingersystem von unendlich vielen Seiten handgeschriebenem Manuskript, deshalb heißt es ja Manuskript, abgetippt, gelocht und abgeheftet. Ein Meisterwerk! der Geduld.
Mein Opus 1! Die Kurzgeschichten zählen ja nicht. Manch einem wären vor Rührung die Tränen gekommen. Ich versicherte mich erst einmal, dass keine Nässe durch die Bettaufklappe gedrungen war. Alles trocken. Na gut, dann freue ich mich jetzt eben, dass ich ihn gefunden habe. Aber tue ich das wirklich? Als Verschollener hatte er etwas geheimnisvolles, unbeschreibliches angenommen. Er wurde zur Legende. Jetzt ist er da. 1,9 kg schwer, 395 Seiten, am 13. Juni 1981 vollendet. Reines Herzblut! Selbstverständlich habe ich sofort angefangen zu lesen. Na ja, dachte ich dann, ich war jung und zum Glück habe ich das Geld nicht gebraucht!
Fängt so ein Bestseller an? Ich glaube nicht. Aber lesen werde ich ihn trotzdem ganz, schon um zu sehen ob mein Venedigbild, an das ich mich ja genau zu erinnern glaube, wirklich einmal so war. Vergleiche habe ich jetzt ja genügend … obwohl, auch hier, oder gerade hier gilt: Genug ist nie genug.


Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen