Montag, 26. Mai 2014

Ein Tag mit Türken

Entschuldigung, oder wie es auf türkisch so melodisch heißt: "Üzgünüm", das soll natürlich "mit Tücken" heißen, obwohl … beides trifft zu. Erst einmal habe ich verschlafen und damit wieder keine Chance gehabt den Dolmabahçe Palast zu besuchen. Das werde ich bei diesem Istanbulbesuch wohl nicht mehr schaffen. Die Zeit läuft davon, als hätte sie Angst vor mir, dabei ist doch das Gegenteil der Fall. Dann musste mein Besuch, ein netter Mann aus Anatolien, ein Facebook Freund, das weiße Hemd, das er am Vortag seinem Neffen zu dessen Schulfeier schenken wollte, das dieser aber nicht annahm, weil er nur T-shirts trägt, zum Bügeln bringen, weil er es selber an diesem Tag tragen wollte. Er ging zum Bügeln, während ich Euro in Türkische Lira umtauschte. Der Euro war gefallen. Ich bekam nur 140 TKL für 50€, vor ein paar Tagen waren es noch 144 TKL. Was ist da los in der Welt da draußen hinter dem Goldenen Horn? Hat Erdogan den ersten Spatenstich für das Protzkaufhaus auf dem Gezi Park Gelände getan? Hat er in Deutschland 10 000 neue Wasserwerfer bestellt? Man kennt sich mit deren Bau dort ja aus und testet die neuen Modelle immer "im Ländle", wie die Schwaben BW nennen, man kann damit Demonstranten zielgenau die Augen ruinieren. Auf jeden Fall war ich schon ein bisschen sauer auf den Wechselkurs und meine Laune wurde nicht besser, als mein anatolischer Freund nicht mehr auftauchte. Die davonlaufende Zeit zeigte inzwischen 11:15 und um 12:00 sollte die Fähre in Kabataş (Sprich "sch", wie schon an anderer Stelle erklärt.) ablegen. Dahin ist es aber eine halbe Stunde Fahrt mit der Tramway von der Haltestelle `Yussufpaşa´ aus, die ich der `Aksaray´ vorziehe, weil man dort gleich zwei Hauptstraßen überqueren muss, wobei die Überquerenden in beträchtlicher Anzahl über den Bordstein quellen und ich mich wundere, dass nicht täglich einige hundert Totgetrampelte zu vermelden sind. Kaum hat man die zweite Straße hinter sich, ergießt sich der Fußgängerstrom in ein Nadelöhr zwischen einem Bauzaun und dem Aufgang des unterirdischen Textilien Kaufhauses, das auch ständig Passanten von sich gibt, dass alle kaufende Kundschaft sind, kann ich mir nicht vorstellen, und somit ist man hier mit Platzangst einem Schreikrampf bald nahe. Ist man endlich durch den Engpass, watet man durch endlose Warenangebote fliegender Händler, ehe man endlich den großen Platz vor der Metro Station erreicht, wo man aufpassen muss, dass der zufällige Blick, der eine der dort herumwartenden Huren streift, und, weiß Gott, bei mir ist dieser Blick absolut zufällig, von dieser nicht als Einladung verstanden wird. 


Es ist mir übrigens aufgefallen, dass sich hier die Männer, ich glaube alle, kurz mit einem abschätzenden Blick taxieren, der ihnen alles sagt über den (das?) Gegenüber. Mich streift oft auch ein zweiter, interessierter? Blick, der ganz eindeutig meinen Hosenträgern gilt. Ich bin hier sowas von exotisch, meine rote Hose nebst solchfarbenen Schuhen würde nicht mehr Verwunderung auslösen. Aber ich komme vom Thema ab.
Endlich tauchte Salomon (deutsche Version seines türkischen Namens) auf und er tat meine offensichtliche Verstimmung, sprich inzwischen Wut, wie immer, mit einem Achselzucken und einem Lächeln ab. Kein Wunder, dass die keine Industrie gebacken bekommen. So reagiert man doch nicht auf eine berechtigte Reklamation! Fairer Weise muss ich zugeben, dass ich nur ein paar Worte Türkisch kenne, von beherrschen möchte ich da nicht reden, und er nur "Hokä" (auf Türkisch "Tamam") und "no problem" als englischen Sprachschatz anzubieten hat. Inzwischen habe ich wenigstens noch "yemek" = essen und "gitmek" = gehen dazugelernt. "Sen ve ben" heißt übrigens Du und Ich. "Sen ve ben yemek gitmek kann man also gerade so als "Wir beide wollen essen gehen." akzeptieren, denke ich. 
Auf jeden Fall war die Tramway brechend voll, siehe an anderer Stelle, und die Fahrt zur Ablegestelle dauert mindestens zwanzig Minuten, wenn alles glatt läuft. Nichts lief glatt! An jeder Haltestelle musste der Fahrer über Lautsprecher die Fahrgäste auffordern, von den Türen zurück zu treten, damit man die Fahrt fortsetzen könne. Trotzdem war es erst 5 nach 12 als die Bahn ankam. 


(Das Bild ist vom ersten Tag an dem ich mich mit der Tramway zu fahren wagte. Da hatte ich ja einen der zehn Regentage erwischt, die es im Mai in Istanbul gibt. Übrigens hatte ich noch vier weitere, also 50%.) 

Die Fähre war weg. Als wir Nachmittags zurück fuhren, hatte sie zwanzig Minuten Verspätung. Ist das ausgleichende Gerechtigkeit? Wohl kaum.
Adalar. Das sind die "Prinzen Inseln" im Marmara Meer, auf die überzählige und aufmüpfige männliche Nachkommen der byzantinischen Herrscher verbannt wurden. "Heute ein zauberhaftes Ausflugsziel …" heißt es in meinem Fremdenführer. Also gut. Wenn der Istanbulbesucher wirklich an dem Punkt angekommen ist, wo er ein zauberhaftes Ausflugsziel nötig hat, dann mag er die einstündige Fahrt auf einer überfüllten Fähre an einem heißen Tag ruhig auf sich nehmen. Nach einer Stunde erreicht er allerdings nur die erste der vier oder fünf Inselchen, nicht die sehenswerteste laut Führer (darf man das Wort noch benutzen?). Wie gesagt, das sind Fähren, keine Ausflugsboote mit Komfort, da sitzt man, nicht gerade bequem, in Reihen mit jeweils vier Plätzen. Kinderwagen versperren die Durchgänge und die Insassen genannter Fahrgelegenheiten quengeln und schreien, die größeren toben herum. Auf der Rückfahrt schlafen sie dann Gottseidank, belegen aber jeweils zwei Sitzplätze, was zu vielen Stehplätzen führt. Es gibt übrigens nur eine Toilette für Frauen, eine für Männer. Diese Hockdinger, in die sich Hosenträger gerne einschmuggeln, weil man die hinteren Bereiche der Anatomie ja nicht soooo im Auge hat … Das ist mir an diesem tückischen Tag allerdings nicht passiert und ich bin schon wieder abgeschweift.
Die wirkliche Tücke offenbarte sich, als ich mein erstes Foto schießen wollte. Ich schaltete die Kamera ein und … nichts. Sie schaltete nicht ein, sie konnte nicht einschalten, weil die Batterie zum Aufladen im Gerät zuhause hing. Ich hatte mir ja schon oft vorgenommen, den Verschluss des Batteriefachs offen zu lassen, so lange die Batterie "am Tropf" hängt, aber der Schwabe in mir kann solche Unordnung nicht tolerieren, also … Ohne funktionierenden Fotoapparat einen Ausflug zu machen an einen Ort, den ich wahrscheinlich nie wieder besuchen werde, das war unvorstellbar für mich. Und trotzdem nahm ich das Unvorstellbare in Kauf. Was blieb mir auch anderes übrig? Den ganzen Tag in den Kamin schreiben? Dann schon lieber auf Fotos verzichten. Na ja, nicht ganz, mein Freund Salomon hatte ja sein Handy.
Wie sich dann herausstellte, gab es wenig fotografierenswertes auf der Insel, außer den Pferdekutschen. Die Pferde stanken abnorm und ich kann mir nicht vorstellen, dass es Spaß macht eine halbe Stunde lang, von übelsten Düften umweht, durch die Landschaft zu kutschieren, die außer Bäumen und Häusern nichts zu bieten hat. Den Militärstützpunkt der Marine, wo Rekruten ausgebildet werden, darf man ja nicht fotografieren, es sei denn, man möchte ein türkisches Gefängnis kennen lernen. So lange die Türkei nicht zur EU gehört, möchte ich das nicht.

Aber da hatten wir ja schon eine Stunde lang Istanbul passiert. Kilometer um Kilometer zieht es sich dahin: Über alle Hügel, durch alle Täler, von Horizont zu Horizont. Endlos. Zumindest konnte ich keine Ende sehen. Und da hatte ich endlich eine Vorstellung von "endlos".





























Also sagte ich schließlich: "Sen ve ben yemek gitmek?" und wir suchten eine Restaurant. Suchen ist natürlich ein Witz, es gab nur Restaurants an der Waterfront. Weil der Tag aber so tückisch war, machte das Schicksal jetzt die Ausnahme, die die Regel bestätigt, und ließ uns In einem Restaurant Platz nehmen, in dem das Essen vorzüglich schmeckte. Ich war absolut versöhnt.























































Im Hintergrund sieht man die Stadt entschwinden. Die Rückfahrt war anstrengender als die Hinfahrt, weil man ständig einzuschlafen drohte und keinen Platz zum Umkippen hatte.
Aber als Tagesabschluss gab es noch ein paar schöne Fotos an einer der "Regenbogentreppen". Ich war versöhnt mit Tücken und Türken.


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