Montag, 21. April 2014

Warten

Wie gesagt, Warten will gelernt sein. Besonders das Warten in der Klinikambulanz, wo oft so viele Wartende sind, dass die Sitzplätze vor dem Behandlungszimmer nicht ausreichen und die Patienten sich wieder in den Warteraum beim Eingang setzen müssen. Das hat den Nachteil, dass der/die Aufgerufene länger brauchen um zur Behandlung in den angegebenen Raum zu gelangen, was wieder die Wartezeit, wenn auch im Einzelnen wenig, in der Summe aber doch merklich verlängert. Es empfiehlt sich, ein Buch, iPad oder eine Begleitperson dabei zu haben, da sonst dem Wartenden nichts anderes übrig bleibt, als die gegenüberliegende Wand anzustarren. Und das, wie auch schon gesagt, manchmal stundenlang. Man natürlich auch den Dialogen der Mitwartenden lauschen, aber die drehen sich hauptsächlich ums Warten.
"Das geht ja überhaupt nicht vorwärts."
"Ja, da fehlt die Organisation."
"Wie lange warten Sie denn?"
"Seit zwei Stunden!"
"Ach, das ist gar nichts, ich bin seit fünf Stunden hier."
"Was? Seit fünf Stunden?"
"Ja. Und bei meinem letzten Besuch habe ich den ganzen Tag gewartet."
So und so ähnlich geht das endlos.
Ist man erst einmal stationär aufgenommen und der Tag strukturiert in warten auf die Tropfen und Warten auf die Druckmessung, dann ergibt sich beinahe zwangsläufig eine Wartegruppenbildung. Wir waren sechs, fünf Herren und eine Dame, die sich immer zu den Messzeiten, also morgens um 8 Uhr vor dem Visitezimmer am Ende des Stationsflurs, und dann mittags um 12, nachmittags um 4, abends um 8 und dann noch einmal nachts um 11 Uhr vor dem jeweiligen Raum zusammenrotteten, in dem die Messung stattfand. Das ist nicht immer der gleiche. Mal muss man in die Ambulanz, mal ins Visitezimmer, oder in den Behandlungsraum neben dem Stationsraum, je nachdem wo sich gerade eine Person befindet, die die Messung durchführen darf. Das dürfen nur Ärzte, oder die Studenten aus Tübingen, die noch üben und nicht immer den richtigen Abstand zwischen dem Messgerät und dem Auge finden. Das tut dann saumäßig weh!
"So trifft man sich wieder." Spätestens am zweiten Tag sagte man das, wenn man zur Gruppe stieß.
Manchmal ergab sich dann ein Gespräch über die Erkrankung der Person, neben der man zu sitzen kam: Diagnose, Verlauf, Therapie, Wartezeiten. Erfahrungen über Operation oder Lasern wurden ausgetauscht und manch einer lässt sich lieber operieren als lasern ... Die Mutter eines Freundes, die hat sich lasern lassen. Es ging alles gut und sie ist immer noch zufrieden damit. ... Langweilig wurde es nie.
Die ältere Dame, die nur noch auf dem linken Auge sehen kann, dank der Operation die sie gerade hinter sich hat, das rechte ist nach einem Schlaganfall erblindet, erzählt, dass sie einmal 4 Stunden auf die Druckmessung warten musste, unten in der Ambulanz. Das war für sie gar nicht so einfach, weil sie, dank welchen Naturgesetzes auch immer, alle zwei Stunden etwas essen muss. Erklärt hat sie dieses Phänomen nicht, nur die Tatsache verkündet und dass sie in dem Tag, an dem sie vier Stunden warten musste, schließlich zur Krankenschwester gesagt habe, dass sie, sollte sie nicht sofort gemessen werden, auf ihr Zimmer gehe um etwas zu essen. Sie sei dann sofort dran gekommen, sagte sie. Wahrscheinlich wollte das Personal nicht riskieren, dass sie dort verhungert und man sie entsorgen müsste, dachte ich.
Morgens entspann sich jeden Tag folgender Dialog zwischen einem der Wartenden und der älteren Reinigungskraft mit Immigrationshintergrund und leichtem Gehfehler.
"Gut Morgen. Heute na Hause." Das klang nie nach einer Frage, obwohl es eine sein sollte.
"Guten Morgen. Nein, heute noch nicht."
"Aber Morgen." stellte sie fest.
"Nein, Morgen auch nicht."
"Aber diese Woch." Das war endgültig.
"Vielleicht?" wagte ich zu fragen. Die Hoffnung hatte ich ja am Montagmorgen noch.
"Beschdimmt. Diese Woche na Hause." bestätigte sie und unterstrich ihre Vorhersage mit einem energischen Kopfnicken.
Na dann. dachte ich, während sie schon zur nächsten ihr begegnenden Person sagte: "Gut Morgen. Heute na Hause."
Interessant war auch die Unterhaltung zweier Damen, die in der Nähe von Schwäbisch Gmünd, oder Hall?, beheimatet waren. Interessant vielleicht nicht so sehr, aber sehr laut, weil die Damen sich nicht entschließen konnten nebeneinanderstehende Stühle einzunehmen, sondern ihr Gespräch quer durch den Raum führten. Es ging um den "Osterbrunnen" in der Stadt aus deren Umkreis sie kamen. Über tausend ausgeblasene und kunstvoll bemalte Eier schmücken ihn jedes Jahr! Inzwischen ist er eine weit überregional Attraktion! In Omnibussen kommen die Leute, sogar aus der Schweiz! Natürlich gibt auch zu Essen und trinken und Honig kann man kaufen! Ach und der Aufwand der Lagerung der Eier bis zum nächsten Jahr! Und natürlich gehen auch einige kaputt! Man kann auch Eier kaufen, aber die sind teuer!
Erst als sie über ihre Augenleiden zu sprechen begannen, setzten sie sich nebeneinander und tauschte Adressen und Erfahrungen bei ihren jeweiligen Augenärzten aus. Bei ihrer ersten Operation, es sei alles gut verlaufen, aaaaber, sie habe dann einen Virus bekommen und der mache ihr immer noch zu schaffen.
Dann war ich zur Visite dran.
Über tausend Eier? Das ist doch gar nichts gegen den Apfelbaum dieses Mannes aus ... na, woher ist der doch gleich nochmal? Ich habs vergessen. Hier sein Bild.





























10 000 Eier hängen in diesem Baum! Wer die wohl alle ausgeblasen und mit einem Fädchen zum befestigen versehen hat! 
Auf jeden Fall schlägt diese Zahl eine beachtliche Schneise in die Hühnerbevölkerung, denke ich, und kann wieder ruhig schlafen.

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