Als ich mir heute Gedanken über die Sonderbuchstaben im schwäbischen Alphabet gemacht hatte, geriet ich in Nostalgie und mir fiel eine Geschichte aus meiner Kindheit ein.
Wir waren aus Stuttgart nach Waldenbuch evakuiert worden, wo wir im "Gasthof Post" mehr oder weniger beengt notuntergebracht waren. Als der Krieg vorbei war, siedelte man uns in die Liebenau, einen Vorort von Waldenbuch, um. Es gab dort nur eineinhalb Dutzend Häuser und Villen und alle wurden von pensionierten Lehrerinnen, Studienräten, Fabrikanten und evangelischen Pfarrern mit unverheirateten Töchtern komfortabel bewohnt. In einer Villa lebte sogar ein wahrhaftiger Dichter, H. H. Ehrler! Eines seiner Gedichte, ein gnädig kurzes, es heißt "Heimat", stand sogar im Lesebuch der 8. Klasse! Es hieß damals, dass das nur vorübergehend sei, dass man später wieder nach Stuttgart übersiedeln könne ...
In der Villa des Fabrikanten O. Sch. wohnte eine wohlhabende Familie, die es aus Norddeutschland dorthin verschlagen hatte. Sie hatte mehrere Kinder. (Jürgen war so alt wie ich und wir besuchten zusammen die Schule, bis die Familie nach Norddeutschland zurückkehrte.) Das jüngste war ein Mädchen, vier Jahre alt, das von allen nur "Puppchen" genannt wurde. Ich glaube ich habe ihren Namen nie erfahren.
Für dieses Kind hatte die Familie ein "Kindermädchen" aus einer ureingesessenen Waldenbucher Bauernfamilie rekrutiert. Bis zum Krieg war Waldenbuch ein verschlafenes Nest und Hochdeutsch galt dort allgemein, bis auf ein paar "vornehme" Familien, als Fremdsprache. Natürlich wurde in Puppchens Kreisen nur Hochdeutsch gesprochen. Um so faszinierter war das Mädchen von der exotischen, unverständlichen Ausdrucksweise ihrer ständigen Begleiterin, die Eltern waren meistens irgendwo unterwegs.
Abends ging Hilde, nennen wir sie einfach so, immer nach Hause. Sie hatte keine Kammer in der Villa, sehr zu Puppchen's Kummer. Und so bettelte das Kind immer, dass Hilde sie doch mit zu sich nehmen solle.
Eines Tages wurde Hilde sehr ernst und sagte zu dem Kind, in dem was sie für reinstes Hochdeutsch hielt, jedes Wort deutlich ausgesprochen: "Aber des g°aht doch ned. Was däte da Deine Muader sagen? Die däte heulen und fragen: Ja, wo ischt aber au mai Puppchen °ahne!"
Zufällig hörte die "Muader" diese Ermahnung, erzählte sie, köstlich amüsiert, am nächsten Tag dem Oberstudienrat i. R., Herr R., ihr nächster Nachbar, dieser trug die Geschichte weiter an seine Hausdame, Frau Sch. ... und irgendwann erzählte man sie meiner Mutter und so bekam auch ich sie zu hören. Ich hatte keine Ahnung warum alle darüber lachten, aber ich habe sie nie vergessen!
Zurück in die Gegenwart. Erst kürzlich erzählte mir ein Nachbar, der einen fünfjährigen Enkel hat, dass dieser ihn fragte: "Opa, was isch eigentlich an Enertscheißer genau?"
Der Opa war perplex. "Ha Buâ, was isch denn des fir a Wort, des kenn i j°a gar ned. Wo h°asch denn des her?"
"Vom Fernsähr, von dr Werbông, wenn se saget dass die oine Badderiâ besser send als die andere, nô saget se emmer Enertscheißer dazuâ."
Jetzt wusste Opa zwar Bescheid, aber wie erklärt man einem 5jährigen das Wort "Energizer"? Er versuchte es erst gar nicht und sagte: "Woisch Kend, des isch Englisch fir Hosâscheißer, des brau'sch dr ned mergâ."
`Hoffentlich merkt er es sich nicht und prahlt mit seinen Englischkenntnissen im Kindergarten.´ dachte ich.
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