Samstag, 29. Oktober 2016

Allerseelen und warum ich daran denke


Es bedarf eigentlich nicht viel, dass man auf Gedanken kommt. Das menschliche Gehirn ist da nicht anders als das anderer Tiere. Sagt man zu einem Hund: "Leckerli", dann hat man seine ganze Aufmerksamkeit. Legt man Futter auf ein Fensterbrett, dann kommen Vögel immer wieder. Und legt man mir ein Wort in den Weg, dann komme ich immer wieder darauf zurück. Diesmal hieß das Wort "Schicksalsbrunnen". Er steht zwischen der Oper und dem Schauspielhaus im Oberen Schlossgarten und wird dort regelmäßig vom Umweltstaub geschwärzt und dann wieder gereinigt. Und weil er neulich wieder einmal in schönstem Eierschalenweiß meine Aufmerksamkeit erregte, schoß ich einige Bilder von ihm und stellte sie bei Facebook ins Internet. (Ich heiße dort Ge Jot Lang, kann man googeln.)

Eine Facebook Freundin schrieb in einem Kommentar, dass der Brunnen zum Andenken an die Opernsängerin Anna Sutter geschaffen wurde. Das wusste ich nicht. Nebulös kam mir der Name in Erinnerung, weil meine Schwester ihn bei einem Besuch auf dem Pragfriedhof erwähnt hatte. Dort soll die Künstlerin beerdigt sein. Dass sie von einem verschmähten Liebhaber erschossen wurde hatte mir meine Schwester auch noch erzählt. So weit, so gut. Warum baut man für diese Sängerin so einen Brunnen, dachte ich und googelte.



































Die Geschichte "berührte mich". Okay, ich bin sentimental, was soll's. Also googelte ich Details der Tragödie und war ein bisschen entsetzt, als ich las, dass der nicht mehr geliebte Liebhaber zwei Schüsse abgab um die Frau zu töten, aber sage und schreibe fünf Schüsse brauchte um sich anschließend selbst zu töten. Er schoß sich in die Brust, nicht in den Kopf. Er war ein gutaussehender Mann ...































Wozu Liebe doch fähig ist. Um seine Geliebte heiraten zu können, ließ er seine Ehe scheiden und dann bekam er einen Korb. Sie wollte ihn nicht heiraten. So kam es zu der Tragödie.



























So weit war ich in meiner Neugierde gekommen, als ich mich fragte, ob das Grab denn wirklich noch existieren könnte. Schließlich passierte das alles 1910 und so lange werden Grabstätten für die Normalsterblichen nicht frei gehalten. Hier muss ich erwähnen, dass Anna Sutter ein bejubeltes und sehr verehrtes Ensemblemitglied der damaligen Stuttgarter Oper war. (In meiner Zeit als Opernbesucher mit Ruth-Margret Pütz zu vergleichen, denke ich.) Auf jeden Fall wurde ihr Tod sehr betrauert und auf ihrem Grab eine Gedenkfigur errichtet. Bis in die 1960er Jahre legte dort ein anonymer Bewunderer täglich Blumen nieder! Wenn man bedenkt wie weitläufig der Pragfriedhof ist, eine schon vom logistischen her bemerkenswerte Leistung!
Wie dem auch sei, ich googelte "Anna Sutter, Begräbnisstätte" und BINGO, tatsächlich noch zu besichtigen. Ich fuhr also mit der U-Bahn 12 direkt zum Haupteingang des Gottesackers im stuttgarter Norden. Der verdankt seinen Namen allerdings nicht der Stadt Prag, was ich ja immer angenommen hatte, mir aber nicht erklären konnte, sondern leitet sich von dem Eigenschaftswort "brach" ab, weil das Gelände zur Zeit der Anlage des Friedhofs ein außerhalb der Stadt liegendes Brachland war. Zumindest steht es so in Wikipedia. Mein Vater lag dort übrigens auch begraben ...
Ich fuhr also hin. Es war ein herrlicher, sonnenstrahlender, farbensprühender Oktobertag. Da ist sogar ein Friedhof eine Augenweide!




Aber, wie gesagt, recht groß. Zwar fand ich gleich hinter dem Eingang Hinweise auf die Grabmale von Eduard Mörike, Graf Ferdinand von Zeppelin und ein paar anderen stuttgarter Größen, aber keine Anna Sutter. Na ja, dachte ich, die ist so bekannt, da bedarf es keines Hinweises. Also fragte ich gleich das erste ältere Ehepaar das mir entgegenkam, ob es mir sagen könne, wo das Grab der Anna Sutter sei. "Hm," meinte der Mann, "das ist doch diese Schauspielerin." ... Eine Niete, gleich am Eingang! Eine andere ältere Frau, die eine große Grabstätte pflegte in der die letzten Toten in den 1970er Jahren bestattet wurden, sagte sehr abweisend: "Wissen Sie, ich habe erst neulich meinen Sohn, seine und meine ganze Familie verloren, da interessieren mich andere Tote nicht." Ich drückte mein Bedauern aus, fragte mich aber schon, wo all diese Leute denn begraben liegen. Ich versuchte es weiter. Niemand konnte mir sagen, wo ich die Begräbnisstätte der Anna Sutter finden kann. Vielleicht gibt es sie gar nicht mehr? dachte ich. Eine andere ältere Frau (es gibt einem schon zu denken, wie viele ältere Frauen Gräber pflegen!) riet mir schließlich, es in der Hauptverwaltung zu versuchen, dort könne man mir bestimmt helfen. Na schön. Aber die Hauptverwaltung ist im Haupteingang untergebracht und von dem war ich inzwischen weit entfernt! Vor mir ragte das Krematorium auf, reiner Jugendstil, aber Architektur interessierte mich in diesem Moment nicht.



























Also machte ich mich auf den Rückweg zum Haupteingang. Ich traf auf eine Gruppe von Friedhofsgärtnern, die sich lachend unterhielten. Allerdings auf türkisch oder arabisch. Einen Anlauf nahm ich dann doch noch bei einem Mann der eben in einen Kleintransporter einsteigen wollte. "Können Sie mir sagen wo ich das Grab der Anna Sutter finde?" Er konnte, und zwar ganz genau, obwohl ich schon wieder weit entfernt davon war, und beschrieb mir den Weg und die Lage der Gedenkstätte. Es war alles sonnenklar und trotzdem irrte ich noch eine halbe Stunde hin und her ohne es zu finden. Von einem Foto aus dem Internet wusste ich, dass es einen Jüngling darstellt, der einen Lorbeerkranz in der einen und eine Maske in der anderen Hand hält. Außerdem sah ich dort, dass er hinter einem Busch steht. Ich schaute hinter, gefühlt, einhundert Büsche und fand ihn nicht. Schließlich wollte ich aufgeben, kehrte aber noch einmal, ein letztes Mal hatte ich mir geschworen, um und BINGO! gleich neben zwei Müllbehältern fand ich endlich was ich suchte.






























































Natürlich freute ich mich, dass ich es gefunden hatte, andererseits war ich schon ein bisschen entsetzt, in welch desolatem Zustand es sich befindet. Völlig überwuchert von Unkraut und kriechendem Efeu. Hinter dem Standbild hatte jemand eine blaue Erikapflanze abgestellt, wahrscheinlich war sie der Person doch zu schade vorgekommen um sie in den Abfallcontainer gleich daneben zu werfen. Enttäuscht ging ich weg. Das ganze Drama dieser Menschen, die sich geliebt hatten und an dieser Liebe starben, kam mir verschwendet vor ...
Heute fuhr ich dann noch einmal hin und zündete in der Bronzlampe, die ganz mit Efeu zugewachsen war, ein kleines Teelicht an. Auch die blaue Topfpflanze stellte ich vorne hin.


Ein Anfang, dachte ich, morgen gehe ich wieder hin und lege eines dieser Gestecke nieder, die zur Zeit ja Saison haben. Bald ist der 2. November, Allerseelen, der Tag der "den Todten frei" ist.








































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